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Abstract

Seit der Gründung des GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) 1947 wird auf multilateraler Ebene versucht, durch graduellen Zollabbau und Reduzierung nicht-tarifärer Handelshemmnisse ein freies Welthandelssystem zu schaffen. Die Liberalisierung landwirtschaftlicher Märkte ist nicht soweit fortgeschritten, wie die der Märkte für Industriegüter. Da die Landwirtschaft ein traditionell stark reglementierter Wirtschaftssektor ist, stellt die Liberalisierung der Agrarmärkte eine große globale Herausforderung dar. Trotz des multilateralen Agrarabkommens (Agreement on Agriculture) der Uruguay Runde fällt der effektive Abbau von Wettbewerbsverzerrungen noch zu gering aus und der Handel mit Agrargütern wird nach wie vor durch eine Vielzahl von Barrieren gehemmt. Aus diesem Grund war und ist es das Hauptziel der Doha Runde den begonnenen Liberalisierungsprozess fortzusetzen. Die bisherigen Ergebnisse der Doha-Verhandlungen bleiben jedoch unzureichend und der zu beobachtende stockende Verhandlungsfortschritt reflektiert die großen Schwierigkeiten einer Konsensfindung im multilateralen Verhandlungsprozess. Vor diesem Hintergrund war es das Ziel dieser Arbeit, einen Beitrag zur Transparenz internationaler Verhandlungsprozesse am Beispiel der WTO-Agrarverhandlungen der Doha-Runde zu leisten. In Verhandlungssituationen hängt das Ergebnis nicht nur von dem eigenen Entscheidungsverhalten, sondern insbesondere auch von dem des Opponenten ab. Somit herrscht in diesen Konfliktsituationen eine Entscheidungsinterdependenz und Verhandlungsergebnisse basieren auf einem Prozess des Interessenausgleichs. Um Verhandlungsverläufe und Ergebnisse realer Verhandlungssituationen verstehen zu können, ist es daher nötig, das Verhalten der Parteien in Konfliktsituationen – insbesondere den Suchprozess nach Übereinstimmung – zu interpretieren. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, bedient sich diese Arbeit einer empirischanalytischen Vorgehensweise, bei welcher der Verhandlungsverlauf und die Prozessdynamik theoriegeleitet beschrieben und empirisch analysiert werden. Anwendung findet die verhaltensorientierte Anspruchsanpassungstheorie, eine Theorie, die dem dynamisch-prozeduralen Charakter von Verhandlungsverläufen sowie der eingeschränkten Rationalität von Menschen gerecht wird. Traditionelle Verhandlungstheorien, wie die kooperativen und nicht-kooperativen spieltheoretischen Modelle, finden in dieser Arbeit keine Anwendung. Normative-spieltheoretische Konzepte basieren auf Annahmen der vollkommenen Rationalität und der Nutzenmaximierung. In komplexen Entscheidungssituationen folgt das individuelle Verhalten jedoch nicht den theoretischen Prinzipien der vollkommenen Rationalität, vielmehr verhindern unvollständige Informationen, unsichere Erwartungen, etc. dieses Verhalten. Aus diesem Grund sind der spieltheoretischen Analyse Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, reale Verhandlungsphänomene zu erklären. Denn hierfür müssen auch die Wirkungen psychologischer und sozialer Faktoren und Prozesse der am Konflikt beteiligten Akteure berücksichtigt werden, um Zusammenhänge von Verhandlungsverläufen generieren zu können. Dies vermag ein traditionell spieltheoretischer Ansatz nicht zu leisten, jedoch die Anspruchsanpassungstheorie. Die anspruchsbasierte Verhandlungsforschung basiert vollständig auf der experimentellen Analyse und verfügt bisher über keine empirisch fundierten Erkenntnisse bezüglich der Prozessabläufe und Dynamiken realer Verhandlungssituationen. Diese Arbeit leistet im Rahmen einer Einzelfallstudie einen ersten Beitrag zur Schließung dieser Lücke zwischen Theorie und Empirie. Aufgrund der Komplexität der WTO-Verhandlungen war es für die Durchführbarkeit der Analyse unumgänglich, eine Dezimierung des Verhandlungsprozesses vorzunehmen. Eine Eingrenzung der Agrarverhandlungen ließ sich entsprechend den drei Verhandlungsbereichen "Marktzugang", "Interne Stützung" und "Exportwettbewerb" sowie den jeweils relevanten Verhandlungsparteien vornehmen. Aufgrund des separaten Verhandelns über den "Exportwettbewerb" und einer bereits erzielten Einigung im Jahre 2005 bietet dieser Verhandlungsbereich gute Analysevoraussetzungen. Darüber hinaus weisen diese Verhandlungen einen überwiegend bilateralen Charakter auf, da die Differenzen zwischen den beiden großen Handelsnationen, der EU und den USA, ausgetragen wurden. Die Fallanalyse bezieht sich daher auf die Teilverhandlungen zum Abbau exportwettbewerbsfördernder Maßnahmen in der Landwirtschaft zwischen der EU und den USA. Mit dieser Eingrenzung gelingt eine sinnvolle Dekomposition des komplexen Verhandlungsprozesses, die einerseits dazu beitragen soll, das Verständnis für Konfliktsituationen zu schärfen und andererseits spezifische Zusammenhänge zwischen Verhandlungsabläufen aufzuzeigen. Die Hauptfrage war, inwieweit sich der Verhandlungsprozess und seine Ergebnisse aus den Anspruchsniveaus der Verhandlungsparteien erklären lassen. Hierfür war eine deskriptive Ableitung der Zieldimensionen, der Verhandlungsprioritäten und der Anspruchsanpassungsschemata für die betrachteten Verhandlungsakteure notwendig. Anhand der Anspruchsanpassungsschemata ließen sich entsprechend der Anspruchsanpassungsprinzipien eine Prognose über den Verlauf des Interessensausgleichs sowie eine Eingrenzung des Verhandlungsergebnisses vornehmen. Die deskriptive Erfassung der tatsächlichen Interaktionen entsprechend der theoretisch relevanten Attribute entlang der Zeitachse diente daraufhin einem Vergleich des prognostizieren Verhandlungsergebnisses mit dem tatsächlichen Verhandlungsverlauf. Dies ermöglichte eine erste Einschätzung der Anwendbarkeit der Anspruchsanpassungstheorie für die Erklärung realer Verhandlungssituationen. Am Beispiel der Verhandlungen zum Abbau exportwettbewerbsfördernder Maßnahmen zwischen der EU und den USA ist es gelungen, Zusammenhänge aufzudecken, die mit den Prinzipien der Anspruchsanpassung konform sind. Dabei konnte gezeigt werden, dass der tatsächliche Verhandlungsprozess dem anhand der Anspruchsanpassungsschemata prognostizierten Weg der Annäherung folgte. Folgendes Verhandlungs- und Konzessionsverhalten der untersuchten Parteien konnte beobachtet werden. - Die Verhandlungsparteien kommunizierten ihre Ansprüche in einer frühen Verhandlungsphase, wobei sie zunächst nur ihre Ansprüche der für sie wichtigsten Zieldimensionen signalisierten. - Der Verhandlungsprozess zeichnete sich durch Zugeständnisse beider Parteien aus. - Die Monotonie des Konzessionsverhaltens konnte bestätigt werden. Es gab keine (ineffizienten) Rückwärtsbewegungen im Verhandlungsprozess. Einmal gemachte Konzessionen, die zu Gunsten der gegnerischen Partei gewährt wurden, wurden niemals wieder zurückgenommen. Ansprüche wurden demnach verteidigt oder gesenkt, aber niemals erhöht. - Konzessionen konnten als Anspruchsanpassung nach unten interpretiert werden. Ansprüche wurden schrittweise und entsprechend der Dringlichkeitsordnung der Zielvariablen angepasst. Ein Zugeständnis ging mit einer Anspruchssenkung der unwichtigsten Zielvariablen einher. Konzessionen wurden nicht in mehreren Dimensionen gleichzeitig gewährt. - Es konnte eine Ausgewogenheit des Konzessionsverhaltens der beiden Verhandlungsparteien festgestellt werden. Die Parteien waren entsprechend ihrer Anspruchsniveaus zu Zugeständnissen bereit, forderten jedoch reziprokes Verhalten ein. - Im Ergebnis konnten beide Parteien ihre wichtigsten Anliegen in den Verhandlungen durchsetzen. Um ihre wichtigsten Ziele zu realisieren, wurden Abstriche bei weniger relevanten Zielen in Kauf genommen. - Die Konzessionsbereitschaft stieg im Vorfeld -ichtiger Verhandlungsfristen. Es ist festzuhalten, dass mit dieser Charakterisierung das beobachtete Konzessionsverhalten der Verhandlungsparteien in Einklang mit den theoretisch formulierten Prinzipien der Anspruchsanpassungstheorie steht.

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